Auf den Wanderungen durchs Kirchenjahr bilden die Hochfeste besondere Wegmarken des Glaubens. Zu Weihnachten berührt uns das wehrlose, liebebedürftige Kind in der Krippe, und wir beugen mit den Gläubigen aller Zeiten ehrfürchtig die Knie vor dem großen Gott, der sich klein macht, so dass wir ihn furchtlos und mit ganzem Herzen lieben können. In gleicher Weise deutet das Weihnachtsfest bereits auf die Heiligen Tage voraus, auf Passion, Grabesruhe und die Auferstehung Christi. Vergessen wir nicht, dass die Krippe und das Kreuz aus demselben Holz geschnitzt sind. Auch der Friedensgruß des Auferstandenen an die Jünger klingt in uns nach. Ob er das hebräische Wort „Shalom“ wählte? Oder ob er volkstümlich, wie im Heiligen Land üblich, in hoher Einfachheit auf Aramäisch „sch'levah“ sagte? Die Botschaft ist dieselbe.

Papst Leo XIV., der erste Augustinermönch auf dem Stuhl Petri, begann sein Pontifikat am 8. Mai 2025 mit dem österlichen Friedensgruß – „La pace sia con tutti voi!“ (= Der Friede sei mit euch allen!) und gewann so rasch die Herzen, die auf dem Petersplatz versammelt waren oder staunend und erwartungsfroh nach Rom schauten.

Nun feiern wir einen Monat später das Pfingstfest, das eingewoben ist in den Kalender der Hochfeste, und werden festlich daran erinnert, uns für die Dynamik des Heiligen Geistes zu öffnen. Ob uns ein ganz persönliches „Aggiornamento“ gelingt, ein Ausbruch aus den eigenen Denk- und Anschauungsweisen, auch aus den oft sehr regionalen Reformwünschen und Veränderungsabsichten, aus Strukturdebatten und Ämterfragen? Sind wir bereit, uns Gottes Geist zu öffnen und uns hineinzugeben in die Sendung als Christ in der Welt von heute?

In der Pfingstpredigt Sermo 267 spricht der heilige Augustinus von der „geistlichen Sehnsucht“ der Jünger Christi. Erfüllt uns heute diese bezwingende Sehnsucht nach Veränderung – im spirituellen Sinne? Sehnsüchte verleihen gewissermaßen Flügel, die Gläubigen breiten ihre Schwingen aus in einem übertragenen Sinn, wissen sich belebt, erneuert und ermutigt durch den Heiligen Geist, der ihnen die Augen neu öffnet, so dass sie die Welt, in der sie leben, mit anderen Augen sehen, nämlich als Boten des Evangeliums, als Gesandte der Freude, die freilich nicht überall freudig empfangen werden, sondern oft auf Widerspruch, Unverständnis, Gleichgültigkeit und das Martyrium stoßen werden.

Mit den Jüngern, die sich öffnen, ereignet sich etwas Besonderes – „wer immer den Heiligen Geist empfing, redete plötzlich vom Geist erfüllt“. Wir denken vielleicht an die vielen Sprachen, die hinzugehören, um die Botschaft vom Reich Gottes zu erfüllen – und an alle möglichen regionalen Dialekte, ob nun im Heiligen Land, im Römischen Reich oder heute auf allen Kontinenten. Wer „vom Geist erfüllt“ spricht, pfingstlich gestimmt, der hat dem Gott, der die Liebe ist, in sich weiten Raum gegeben – und der muss vielleicht gar nicht viele Worte machen, um verstanden zu werden.

Pfingsten ist nicht das Hochfest der gelehrten Deklarationen, der philosophisch-theologischen Debattierklubs oder der kirchenpolitischen Streitlust. An Pfingsten sind wir schlicht eingeladen, uns selbst zurückzunehmen und dem Heiligen Geist nachzuspüren, der in uns wirken möchte und uns, ob Kleriker oder Weltchrist, in die Sendung der Kirche hineinnimmt und damit hinaussendet, nicht in die Gespinste der eigenen Meinungen, sondern in die Welt hinein. Gesandt sind wir in den Alltag, vielleicht in eine Sphäre der Indifferenz, zu den verunsicherten Christen und suchenden Agnostikern, zu den Freunden und Familienmitgliedern, die den Glauben verloren zu haben scheinen und zu allen Menschen, die zu den Passanten unseres Lebens gehören, denen wir ganz einfach begegnen oder durch deren Straßen wir gehen.

Das Charisma des Christen liegt weder in einer Erweckungspredigt noch in einem äußerlich bleibenden missionarischen Habitus. Gottes Geist möchte in uns und mit uns wirken, wenn wir an die „Randgebiete der Existenz“ (Papst Franziskus) gehen – und das kann die Arbeitsstätte genauso gut sein wie die eigene Familie, alle Orte, an denen Menschen wohnen, die arm sind vor Gott. Doch wie kann das gelingen, pfingstlich, vom Heiligen Geist erfüllt, zu leben?

Augustinus denkt an die Gemeinschaft der Kirche, denn der Christ lebt nie pfingstlich für sich allein. Er spricht von einer seelischen Erneuerung und legt dar: „Unser Geist, durch den jeder Mensch lebt, heißt Seele; unser Geist, durch den jeder einzelne Mensch lebt, heißt Seele; und ihr seht, was die Seele im Leib bewirkt. Sie belebt alle Glieder; sie sieht mittels der Augen, sie hört mittels der Ohren, sie riecht mittels der Nase, sie spricht mittels der Zunge, sie schafft mittels der Hände, sie läuft mittels der Füße: in allen Gliedern ist sie so, dass sie leben; sie gibt allen das Leben, sie teilt allen ihre Aufgaben zu. Nicht das Auge hört, nicht das Ohr sieht, nicht die Zunge sieht, auch spricht nicht das Ohr und das Auge; dennoch lebt jedes einzelne; es lebt das Ohr, es lebt die Zunge; die Aufgaben sind verschieden, das Leben ist gemeinsam.“

Was Augustinus hier über Leib und Seele des Einzelnen sagt, gilt dann für die Kirche als Ganzes, die an Pfingsten ihren Geburtstag feiert. Die Seele, der Heilige Geist, ist das Lebensprinzip der Kirche, es wirkt in allem und durch alle, und ein jeder Christ hat seine Aufgabe, seine Sendung – und diese Aufgaben sind „verschieden“. Nicht also herrschen persönlicher Machtwille, Ehrgeiz oder das Streben nach einer – ein ausnehmend verstörender Gedanke – Karriere in der Kirche, sondern ein Erkennen und Wahrnehmen der Aufgabe. Es gibt kein weltliches Vorrecht auf eine Aufgabe, es gibt die Teilhabe aller am Leben der Kirche. Oder wie Augustinus sagte und wie ihn Papst Leo XIV. zitierte: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.“ Im Wesentlichen gibt es nämlich keine Rangordnung und keine Hierarchie, sondern es gibt für jeden Gläubigen eine Aufgabe, die Geschenk Gottes ist.

So sagte es auch Benedikt XVI., dem Augustinus zeitlebens ein treuer Weggefährte war, in der Predigt zur Amtseinführung am 24. April 2005: „Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“ Jeder von uns hat als Gottes geliebtes Kind eine ganz bestimmte Aufgabe, an der Sendung der Kirche teilzuhaben, geführt vom Heiligen Geist. Beten wir darum, diese Aufgabe zu erkennen. Das Pfingstfest lädt uns dazu ein.

Der heilige Augustinus spricht von den vielen Gaben des Heiligen Geistes: „In einigen Heiligen bewirkt er Wunder, in anderen Heiligen verkündet er die Wahrheit, in einigen bewahrt er die Jungfräulichkeit, in anderen die eheliche Keuschheit, in den einen dies, in den anderen jenes: die einzelnen verrichten das ihnen Eigentümliche, aber alle leben auf gleiche Weise. Was indes die Seele für den Leib ist, das ist der Heilige Geist für den Leib Christi, der die Kirche ist. Der Heilige Geist bewirkt in der ganzen Kirche das, was die Seele in allen Gliedern eines Leibes bewirkt.“

Alle Gaben sind gleichermaßen wichtig und wertvoll. Augustinus ermutigt seine Zuhörer und auch uns heute, sich pfingstlich zu öffnen und in Christus zu erneuern. Seine Predigt beschließt er mit den Worten: „Wenn ihr somit vom Heiligen Geist leben wollt, so bewahrt die Liebe, liebt die Wahrheit, ersehnt die Einheit, damit ihr in die Ewigkeit gelangt.“

Die Liebe bewahren, die Wahrheit lieben und die Einheit der Kirche ersehnen – wer sich darauf besinnt, lässt sich vom Heiligen Geist beleben und wird auf seine ganz eigene Weise segensreich wirken können. So können wir die Frohe Botschaft verkünden, damit pfingstlich leben und als Pilger durch ein einfaches Leben im Glauben Zeugnis von Gott geben, in aufrichtiger Freude und herzlicher Dankbarkeit – „vom Heiligen Geist erfüllt“, wie der heilige Augustinus sagt, als treues Glied der Kirche, die alle Zeiten und Orte umschließt.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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